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Die krankhafte Brandstiftung oder Pyromanie gehört zu den spektakulärsten, mitunter aber auch folgenschwersten seelischen Störungen. Leider gibt es über die Täter, ihre Wesensart, Herkunft und Motive nur wenig gesichertes Wissen, wenn es sich um ein echtes krankhaftes Feuerlegen handelt, und nicht um Versicherungsbetrug, Verdecken von Spuren und anderen Straftaten, politische Beweggründe u. a.

Das, was man aber über krankhafte Brandstifter weiß, ist von großem Interesse aus kriminologischer, psychologischer, forensischer, therapeutischer und vor allem präventiver Sicht. Nachfolgend eine komprimierte Übersicht.

Die krankhafte Brandstiftung ist ein ungewöhnliches, ja spektakuläres und vor allem folgenschweres Krankheitsbild, das aber bisher nicht allseits befriedigend und vor allem einheitlich klassifiziert werden konnte. Bedeutungsgleiche Begriffe: Pyromanie (Fachbegriff), krankhaftes Feuerlegen u. a.

Definition

Versuchte oder vollendete Brandstiftung an Häusern oder anderen Objekten ohne (scheinbar) verständliches Motiv.

Krankheitsbild

Das Beschwerde- oder besser Krankheitsbild ist charakterisiert durch ausgeprägte Faszination von allem, was mit Feuer und Brand in Zusammenhang steht, einschließlich Löschmöglichkeiten (Löschgeräte, Löschfahrzeuge). Ablauf: Spannung oder affektive Erregung, bevor der Band gelegt wird. Während des Feuers und den damit verbundenen Begleitumständen interessiert, neugierig, fasziniert, gebannt. Oft, manchmal sogar regelmäßig "Zuschauer" bei selbstgelegten Bränden, wenn nicht gar Auslöser der Alarmsituation. Wenn in der jeweiligen Feuerwehr aktiv, dann bei den Löscharbeiten nicht selten besonders einsatzfreudig. Während des Brandes Entspannung, Befriedigung und Vergnügen. Danach, selbst angesichts der entstandenen Zerstörung oder Schädigung von Besitz, Gesundheit oder gar Leben, in der Regel Gleichgültigkeit, ja Zufriedenheit, Behagen, Wohlgefühl oder Entzücken.

Vorkommen

Männer scheinen häufiger betroffen als Frauen. Nicht selten Menschen mit geringen sozialen Fertigkeiten oder Lernschwierigkeiten. Der Altersschwerpunkt liegt im ersten Lebensdrittel. Die Mehrheit lebt auf dem Land. Weitere Daten s. besondere Aspekte.

Verlauf

Keine gesicherten Erkenntnisse, jedoch Gefahr der Chronifizierung (dauerhaftes Leiden), wenn der Betroffene nicht irgendwann entdeckt und vor allem behandelt, zumindest überwacht werden kann. Bei zeitlich umschriebenem dranghaftem Feuerlegen s. entsprechende Diagnosen bzw. Ausschlußkriterien.

Besondere Aspekte

Neuerdings versucht man die krankhafte Brandstiftung konkreter zu fassen, was jedoch nicht ohne Überschneidungen und Diskrepanzen möglich ist. So gibt es zahlreiche Ursachen und Gründe, die nicht immer exakt auseinanderzuhalten sind. Beispiele:

- Aus Lust und Genuß am Feuer und/oder der Bedeutung als Retter (s. o).
- Im Verlaufe von entwicklungsbedingten Experimenten in der Kindheit: z. B. Spielen mit Streichhölzern, Feuerzeugen oder Feuer.
- Als Wunsch oder Bedürfnis, ein Ziel bzw. Art und Ort einer Behandlung zu verändern, z. B. die früher nicht seltenen "kommunikativen Brandtaten" von heimweh-geplagten Hausmädchen, was auch heute in "moderner Gestalt" und unter aktuellen sozialen Bedingungen mit anderen Gruppierungen nicht auszuschließen ist.
- Als Racheakt, also aus Haß, Wut, Eifersucht, Trotz, Rache, aufgrund von Kränkungen oder Demütigungen usw.
- Als politische Kundgebung, Protesthandlung, als terroristischer Akt oder als Sabotage.
- Als Verbrechen oder um Spuren einer kriminellen Tat zu verdecken.

Im Rahmen einer konkreten seelischen Störung wurden früher auch folgende Krankheitsbilder diskutiert, bei denen das pathologische Feuerlegen gelegentlich beobachtet wurde: antisoziale Persönlichkeitsstörung oder andere Störungen des Sozialverhaltens, Intoxikation (z. B. Rauschdrogen, vor allem aber Alkohol - s. später), ferner Demenz oder sonstige geistige Behinderung, Epilepsie, Schizophrenie oder schizomanisches Syndrom bei schizoaffektiver Psychose (Schizophrenie und Manie oder Depressionen treten gleichzeitig auf) aufgrund von imperativen Halluzinationen (z. B. befehlenden Stimmen), ferner bei entsprechenden Eingebungen und wahnhaften Verknüpfungen sowie bei manischen Episoden. Berühmt wurde die sexualpsychologische Erklärung der Pyromanie.

Neuere empirische Daten

Gerade an der - oftmals mit beträchtlichen Schadfolgen einhergehenden - Pyromanie läßt sich aber gut der Unterschied zwischen theoriegeleiteter Klassifikation (z. B. in den engen Ausschlußkriterien moderner Klassifikationen) und dem Praxisalltag darstellen. So geben die forensischen Psychiater aufgrund ihrer eigenen (Gutachten-)Daten zu bedenken (nach Laubichler):

Trotz moderner Ermittlungsmöglichkeiten bleibt der Großteil unaufgeklärt, nämlich fast zwei Drittel aller Brandstiftungen. Rund ein Viertel (in den USA noch mehr) entfallen auf strafunmündige Kinder, die also nicht vor Gericht kommen und deshalb auch nicht in die Statistik eingehen. Das gleiche gilt für Täter mit entsprechenden Motiven wie Versicherungsbetrug, Verdecken von Spuren und anderen Straftaten, von politischer Motivation u. a., die - zumindest in Mitteleuropa - in der Regel keiner psychiatrischen Begutachtung durch das Gericht zugeführt werden. Das besagt: Nur jede 10. Brandstiftung ergibt verwertbare Hinweise über Persönlichkeitsstruktur, Motivation usw.

Von diesen rund 10 % erfaßten Tätern sind mehr als drei Viertel männlichen Geschlechts. In Wirklichkeit sind Frauen aber wahrscheinlich öfter betroffen. Das häufigste Motiv im Rahmen der erfaßten und forensisch (gerichts-psychiatrisch) begutachtbaren Brandstifter ist Frustration, also letztlich aggressive Beweggründe (jedoch selten Rache: meist kennt der Täter den Geschädigten gar nicht). An zweiter Stelle stehen Faszination, also Interesse, Neugierde oder Anziehung hinsichtlich Feuer und der damit zusammenhängenden Brand-Situation. Das entspricht in etwa der modernen Definition der Pyromanie (und hier finden sich auch die meisten Feuerwehrmitglieder bzw. -helfer und auch einige sexuelle Motivationen, jedoch deutlich seltener als in der neurosenpsychologischen Literatur angenommen). An dritter Stelle folgen die Kombination aus Frustration und Faszination, danach suizidale Motive und - am seltensten - wahninduzierte Brandlegungen.

Bei den Diagnosen stehen an erster Stelle Persönlichkeitsstörungen in fast zwei Drittel aller Fälle. Dabei überwiegen die selbstunsicheren Persönlichkeitsstörungen, und zwar weit vor den antisozialen, paranoiden, den Borderline- und schizoiden Persönlichkeitsstörungen (s. diese). Etwa jeder 5. forensisch erfaßte Brandstifter ist geistig behindert. Eine Entwicklungskrise muß in jedem 10. Fall angenommen werden. Danach folgen die deutlich selteneren Diagnosen: wahnhafte Psychose, hirnorganisches Psychosyndrom, Demenz und Depression (s. diese).

Im Gegensatz zu den Ausschlußkriterien der neuen Klassifikationen (akute Trunkenheit, chronischer Alkoholismus, Drogen- und Medikamenten-Intoxikation u. a.) ist der Alkoholmißbrauch bei der pathologischen Brandstiftung in Wirklichkeit das häufigste Phänomen dieses Fehlverhaltens. Drei Viertel der erfaßten Täter sind zum Zeitpunkt der Tat alkoholisiert, die Hälfte als alkoholkrank zu bezeichnen. Dies betrifft besonders selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen und hier besonders die Motiv-Kombination Frustration und Faszination. Der Alkoholismus ist vor allem ein Problem der älteren Brandstifter.

Vier von zehn Tätern sind vorbestraft, fast die Hälfte lebt im Familienverbund, die meisten unverheiratet (oder kurz vorher geschieden). Zwei Drittel der Brandobjekte sind fremde Häuser, der Rest verteilt sich auf eigenes Wohnhaus und Arbeitsplatz (allerdings arbeitet die Hälfte der Brandstifter zum Zeitpunkt der Tat nicht mehr). Das Durchschnittsalter ist relativ jung, d. h. eine Brandstiftung erfolgt in der Regel in den ersten Lebensjahrzehnten. Die Mehrheit kommt vom Land. Drei Viertel setzen die Brände nachts (eher Erwachsene), ein Viertel bei Tag (eher Jugendliche).

Psychologisch scheint bei der pathologischen Brandstiftung weniger eine Störung mit Verlust der Impulskontrolle vorzuliegen (in den modernen Klassifikationen wird die Brandstiftung unter diese Kategorie eingereiht), eher ein extrem spezialisiertes Fehlverhalten. Die meisten Täter sind sehr schüchtern und gehemmt. Deshalb greift die einseitige Betonung aggressiver Motive zu kurz. Das gleiche gilt für den angeblich hohen Anteil von sexuell motivierten Brandstiftern, einer Interpretation, die vor allem die deutschsprachige Psychiatrie in Anlehnung an Sigmund Freud charakterisiert. In Einzelfällen kann dies vorkommen, ist aber - zumindest für die erfaßten Pyromanen - kein statistisch relevantes Motiv. Zahlenmäßig aber deutlich ist die Erkenntnis:

Mindestens 60 % aller überführten Brandstifter sind Kinder, weshalb man bei entsprechenden Brandfällen die kindliche Lust am Zündeln in seine Überlegungen einbeziehen sollte (nach Laubichler).

Therapie

Je nach Ursache, Motiv bzw. Krankheitsbild Aufklärung und pädagogische, psychotherapeutische oder psychagogisch-soziotherapeutische, ggf. medikamentöse (meist neuroleptisch oder mittels Phasenprophylaktika wie Lithiumsalze, Carbamazepin) Behandlung, die nicht zu kurz anzusetzen ist (Rückfallgefahr).

   
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