Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) sind bestimmte krankheitsauslösende Stämme des Darmbakteriums Escherichia coli (E. coli). Die nichtpathogenen Escherichia coli sind Bestandteil einer gesunden Darmflora. Wie das Namenspräfix Enterohämorrhagisch andeutet, kann die pathogene Form beim Menschen gefährliche, blutige Durchfallerkrankungen (Enterohämorrhagische Colitis) auslösen.
Erreger
Topographische Bilder von Kolonien von E. coli O157:H7 (A) 43895OW (nicht curli-produzierend) und (B) 43895OR (curli-produzierend) auf Agar (48 h bei 28 °C)\\r\\n\\r\\nE. coli ist ein weitverbreitetes gramnegatives Stäbchenbakterium und Bestandteil der normalen Darmflora des gesunden Menschen. Es gibt jedoch einige serologisch unterscheidbare Stämme, die beim Menschen Darmerkrankungen auslösen. Außer den hier behandelten EHEC, die 1977 erstmals beschrieben wurden, gibt es enteropathogene E. coli (EPEC), enterotoxinbildende E. coli (ETEC) und enteroinvasive E. coli (EIEC), sowie enteroaggregative E. coli (EAEC).
Enterohämorrhagische E. coli-Bakterien (EHEC) haben mehrere Besonderheiten, die ihre pathogene Potenz erhöhen: Sie können sich durch ein spezielles Hüllenprotein (Adhäsin) an die Epithelzellen der Darmwand anheften. Zweitens besitzen sie durch eine Phageninfektion ein Gen für die Produktion eines Toxins, welches Ähnlichkeit mit dem neurotoxischen und nekrotisierenden Toxin des Bakteriums Shigella dysenteriae hat und als Shiga-like-Toxin II oder auch Vero-Toxin bezeichnet wird (der Name Vero-Toxin leitet sich von Vero-Zellen ab, einer Zellkultur aus Affennieren, an denen das Toxin als erstes getestet wurde) . Schließlich produzieren die EHEC-Stämme auch noch ein plasmidkodiertes Hämolysin (blutzellenzerstörendes Toxin). Auf die drei häufigsten Serogruppen O157, O103 und O26 verteilten sich fast 60 % der Erreger. Der Buchstabe „O“ (nicht die Ziffer „Null“) steht hier für die jeweiligen, als Oberflächenantigene wirkenden, Lipopolysaccharide der äußeren Zellmembran der Bakterien. Essenziell für die Virulenz ist außerdem das Vorhandensein des Sensorproteins QseC.
Nach den Namen des Toxins wird Enterohämorrhagische E. coli (EHEC) auch Shiga-like Toxin-produzierende E. coli (STEC) oder Vero-Toxin produzierende E. coli (VTEC) genannt.
Übertragung
Der Erreger und die von ihm verursachten Infektionserkrankungen treten weltweit auf. Das Hauptreservoir des Erregers bilden Wiederkäuer, vor allem Rinder, aber auch Schafe und Ziegen.
Die Übertragung der Erreger erfolgt auf vielfältige Art und Weise stets durch die unbeabsichtigte orale Aufnahme von Fäkalspuren. Der Erreger kann mit der Nahrung, insbesondere mit rohem Fleisch oder Rohmilch, aufgenommen werden. Eine Infektion ist auch über fäkalienverseuchtes Trink- oder Badewasser möglich. Mit Tierausscheidungen kontaminiertes Trinkwasser verursachte im Jahr 2000 im kanadischen Walkerton mehr als 2000 Erkrankungen und 18 Todesfälle. Außerdem sind eine Infektion von Mensch zu Mensch sowie eine Übertragung durch Tier-Mensch-Kontakte möglich. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch wurde in Familien, Kindertagesstätten, Altenheimen und Krankenhäusern nachgewiesen. Bereits weniger als 100 Bakterien können für eine Ansteckung genügen.
Epidemiologie
Übermittelte EHEC/STEC- und HUS-Fälle nach Jahr und Meldekategorie in Deutschland, Fälle entsprechend der Referenzdefinition des RKI; Datenstand: 25. Mai 2011
Seit die bundesweite Meldepflicht 1998 eingeführt wurde, zeigte sich ein kontinuierlicher Anstieg der Meldezahlen in Deutschland, hierbei spielt jedoch vermutlich auch eine zunehmend vollständigere Erfassung der Erkrankungsfälle eine Rolle. Mehr als die Hälfte der übermittelten Fälle betraf Kinder unter fünf Jahren. Die geographische Verteilung der Erkrankungen variiert stark. Die Flächenbundesländer mit den höchsten Inzidenzen sind Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Nur in knapp der Hälfte der übermittelten Fälle liegen Angaben zur Serogruppe vor, daher haben diese Zahlen zur Epidemiologie der unterschiedlichen Serogruppen in Deutschland nur eine begrenzte Aussagekraft. Auf die drei häufigsten Serogruppen O157, O103 und O26 verteilten sich fast 60 % der Erreger mit Angaben zur Serogruppe. Etwa 15 % der Fälle wurden im Rahmen von Häufungen übermittelt. Auch zur Epidemiologie der EHEC-Infektionen besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.
Im Jahr 2001 wurden 65 Fälle des hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) an das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin gemeldet, im Jahr 2002 waren es mit 118 fast doppelt so viel, 2003 waren es 82 Fälle. Zu dem Anstieg der Fallzahlen im Jahr 2002 trugen zwei überregionale Häufungen von HUS-Erkrankungen bei, die in Zusammenarbeit zwischen dem RKI und den betroffenen Landesgesundheitsbehörden untersucht wurden. Beide Häufungen wurden durch die sonst sehr selten festgestellte „Sorbitol-fermentierende Variante“ von EHEC O157:H− verursacht, die bereits 1988 und 1996 zu Ausbrüchen in Bayern geführt hatte. Eine im Dezember 2002 durchgeführte Fallkontrollstudie ergab Hinweise auf einzelne Produkte als mögliche Risikofaktoren (selbst gepresster Apfelsaft und ein Joghurtprodukt); die definitive Ursache des Ausbruchs konnte jedoch nicht geklärt werden.
Im Jahr 2008 hatte es im Raum Diepholz vermehrt EHEC-Ausbrüche gegeben, wobei es sich um einen klassischen Ausbruch gehandelt hat, der durch den Genuss von Rohmilch verursacht wurde.
2009 wurden in Deutschland insgesamt 836 EHEC-bedingte Durchfallerkrankungen ohne HUS an das Robert-Koch-Institut gemeldet, 44 % der Erkrankten waren Kinder unter fünf Jahren.
Erhöhte Fallzahlen 2011
Ab Mai 2011 kam es zuerst in Norddeutschland (Hamburg, Schleswig-Holstein), später auch in anderen Bundesländern und Staaten zu erhöhten Fallzahlen des hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS), wobei sich im wesentlichen alle Erkrankten kurz zuvor in Norddeutschland aufgehalten hatten, insbesondere im Großraum Hamburg. Das Robert-Koch-Institut (RKI) registrierte bis Ende Mai 520 HUS-Fälle, darunter elf Todesfälle, außerdem 1213 Fälle (darunter sechs Todesfälle), bei denen genetische Komponenten eines EHEC labordiagnostisch nachgewiesen werden konnten. Das Institut wies darauf hin, dass es sich um den bisher größten Ausbruch in Deutschland handele und untypischerweise vor allem Erwachsene, insbesondere Frauen, betroffen seien. Im Vergleich dazu waren im gesamten Jahr 2010 nur 65 Fälle von HUS registriert. Das RKI richtete eine Internetseite mit tagesaktuellen Zahlen und Informationen ein.
Eine Infektionsquelle wurde bisher nicht gefunden, zunächst fiel am 26. Mai 2011 der Verdacht auf Gurken spanischer Herkunft als eine Übertragungsquelle. Wenige Tage später ließen sich jedoch bei der Analyse von zwei der vier Proben der spanischen Gurken keine Erreger des Serotyps O104 feststellen. Eine direkte Mensch-zu-Mensch-Übertragung wird derzeit ausgeschlossen, da die bisherigen Infektionen in keinem zeitlichen Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt oder einem Aufenthalt in einer anderen medizinischen Einrichtung stehen und auch keine Fälle einer familiären Häufung festgestellt wurden.
Am 26. Mai 2011 fanden Forscher um Helge Karch am Uniklinikum Münster den Erregerstamm HUSEC 41 des Sequenztyps ST678, auch Serotyp O104 genannt. Dieser Serotyp ist ein sogenannter ESBL-Bildner, er produziert ein besonders breites Spektrum an β-Lactam-spaltenden Enzymen (β-Lactamasen), die bestimmte Antibiotika (Penicilline und Cephalosporine) durch Hydrolyse unwirksam machen und damit den Keim zu einem multiresistenten Erreger werden lassen. Eine Empfindlichkeit besteht gegenüber Carbapenem-Antibiotika. Neben der Fähigkeit, die genannten Antibiotika unwirksam zu machen, produziert EHEC O104 auch zytotoxisches Vero-Toxin (Shiga-like Toxin II) in größeren Mengen als die bisher bekannten EHEC-Referenzstämme.
Das Genom des Erregerstammes wurde vom BGI (ehemals Beijing Genomics Institute) sequenziert. Der neu isolierte Stamm trägt auch genetische Eigenschaften eines Enteroaggregativen E. coli (EAEC) im Erbgut, das heißt, es finden sich Anteile zweier verschiedener Bakterienstämme. Dies könnte die geringe Quote der Erregernachweise bei den neu aufgetretenen HUS-Erkrankungen erklären (nur etwa 60 %), da der Erreger so möglicherweise an Enterozyten binden und länger im Körper verbleiben kann. Unter diesem Aspekt wird die absolute Kontraindikation einer Antibiotikatherapie derzeit neu überprüft.
Krankheitsverlauf, Komplikationen
Eine Infektion kann symptomfrei verlaufen. Andernfalls tritt nach einer Inkubationszeit von typischerweise drei bis vier Tagen, vereinzelt aber auch nach zwei bis zu zehn Tagen, eine Gastroenteritis (Magen-Darm-Grippe, Brechdurchfall) auf, die sich zu einer enterohämorrhagischen Colitis entwickeln kann. Die Toxine zerstören die Zellen der Darmwand und der Blutgefäßwände.
Als schwere Komplikation von EHEC-Darminfektionen ist auch das meldepflichtige enteropathische hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) mit oder ohne neurologischen Komplikationen möglich. Ein HUS kann in etwa 85 % der Fälle auf eine EHEC-/STEC-Infektion zurückgeführt werden, kommt aber auch bei Shigellen oder anderen Erregern vor. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), die üblicherweise auch in diesem Zusammenhang genannt wurde, ein anderes Krankheitsbild mit unterschiedlicher Ursache ist, deshalb wird sie durch die amtliche Statistik nicht mehr erfasst und auch hier nicht mit aufgeführt.
Die Ausscheidung der Bakterien erfolgt typischerweise in einem Zeitraum von fünf bis zwanzig Tagen, kann sich insbesondere bei Kindern jedoch auch über mehrere Monate erstrecken. In dieser Zeit ist eine Ansteckung weiterer Personen möglich.
Diagnose
Die Diagnose erfolgt durch eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR) mit Primern, die an EHEC-spezifische DNA-Abschnitte binden und somit der DNA-Polymerase die Replikation eines für EHEC typischen Gens ermöglichen. Die Produkte der PCR können dann auf EHEC-typische DNA überprüft werden. Ergänzend werden die vom Erreger produzierten Toxine Shiga-Toxin I und II nachgewiesen. Als Methoden können dazu Enzymimmunoassays oder massenspektrometrische Methoden herangezogen werden.
Therapie
Eine Bekämpfung des Erregers durch Antibiotika ist nicht Erfolg versprechend, da dadurch die Ausscheidung der Bakterien verlängert oder der Krankheitsverlauf durch eine erhöhte Toxinbildung verschlimmert werden kann. Die Behandlung erfolgt symptomorientiert durch Ersatz des Wasser- und Elektrolytverlustes, der bei schweren Durchfällen auftritt. Die Darmbewegung hemmende Medikamente wie Loperamid sind nicht angezeigt, um die Ausscheidung von Erregern und Toxin nicht zu behindern. Die Komplikation HUS muss intensivmedizinisch behandelt werden, beispielsweise durch Bluttransfusionen, Anregung der Urinausscheidung mittels Diuretika, Blutwäsche in Form von Hämofiltration und Plasmaaustausch. Krankenhauspatienten werden unter Beachtung allgemeiner Hygienemaßnahmen isoliert untergebracht.
Seit 2009 gibt es einige wenige Fallberichte über den Einsatz des monoklonalen Antikörpers Eculizumab bei Kindern mit HUS, die nicht auf Plasmapherese reagierten, sowie bei einem atypischen HUS nach Nierentransplantation. Aufgrund dieser Berichte wird seit dem 28. Mai 2011 in einigen Kliniken in Deutschland Eculizumab bei schweren Verläufen mit HUS, die unter Plasmapherese keine Tendenz zur Besserung zeigen, versuchsweise eingesetzt. Ob und wie weit diese Maßnahme zum Erfolg führt, lässt sich nach Aussage von Rolf Stahl, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, erst zu einem späteren Zeitpunkt, in etwa 3–4 Wochen nach Therapiebeginn, sagen.
Meldepflicht
In Deutschland sind der Verdacht oder Nachweis einer EHEC-Infektion nach § 6 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) meldepflichtig, wenn entweder a) ein HUS vorliegt, b) zwei oder mehr Personen erkrankt sind oder c) ein Erkrankter im Lebensmittel- oder Gaststättengewerbe tätig ist. Laborärzte müssen jeden Nachweis eines EHEC-Stammes unverzüglich beim Gesundheitsamt melden.